Wir sind kurz vor Weihnachten und die Erlebnisse in dem Kloster Sahagún erinnern mich an den wunderbaren Vorgang des Teilens. Von daher möchte ich auch jetzt diese Geschichte mit Euch teilen.

Entkräftet stehen zwei von fünfen vor der Klosterpforte. Was für ein beeindruckender Bau. Es handelt sich um das Kloster der Maristen, eine internationale katholische Glaubensgemeinschaft für Priester und Brüder. Meine bisherigen Erfahrungen mit spirituellen Orten sind gut.

Doch es bleibt keine Zeit, das Gebäude zu bestaunen, da ein Bruder der Maristenfamilie uns in den Eingang zieht. Wir sollen schnell unsere Wanderschuhe ausziehen, die Rücksäcke und Wanderstöcke ablegen und uns setzen. Der Bruder drückt uns ein Glas Wasser in die Hand. Wir seien bestimmt durstig, so sein Kommentar. Er setzt eilig an, uns die Spielregeln des Hauses zu erläutern. Zunächst einmal erkundigt er sich nach unseren Pilgerpässen plus Personalausweis.  Es muss schließlich alles seine Ordnung haben. Dann erhalten wir die Einmalbettlaken verbunden mit der Bitte, diese am nächsten Morgen in den Körben zur linken Seite wieder abzugeben. Heute Abend hätten wir die einmalige Gelegenheit, an einem Austausch der Pilger über ihre Erfahrungen auf dem Weg und / oder  an einer Messe am frühen Abend und / oder an einem Abendmahl teilzunehmen. Wir müssten uns wohl schnell entscheiden und eintragen. Das Essen sei was ganz Besonderes, weil…

Gerade, als es spannend wird, erscheint der Rest unserer Truppe. Auch sie werden schleunigst in den Flur gezogen. Weil es gerade so spannend war,  weisen wir sie direkt ein: „Hinsetzen, trinken, Pässe her und zuhören.“ Mann o Mann, hier ist was los. Wo bleibt nur die spirituelle Ruhe?

Dann erläutert unser engagierter Bruder, dass das Abendmahl ein Treffen der Pilger des Klosters ist, zu welchem jeder etwas beiträgt. Wir sind eine Gruppe mit fünf Frauen, jede soll etwas für jede einkaufen. So kommt es auf insgesamt 25 Speisen. Gekocht werden kann wohl nicht, sondern lediglich erhitzt. Auf unsere Frage, was denn die Anderen in der Regel so mitbringen, erläutert er: gerne Pizza, Baguette, Chicken wings oder Ähnliches.

Da es so heiß ist, bringen wir Melone ins Spiel. Da ist unser Bruder hellauf begeistert. Ein Mitbruder könne diese wunderbar dekorieren. Er schneidet Tannenbäume aus Ihnen. Leider sei er nicht da. Tannenbäume halten wir im September für etwas verfrüht, aber wir werden eine andere Variante finden.

Anschließend führt er uns auf unsere Zimmer. Diese sind sehr einfach und mir geht durch den Kopf, wie viele Brüder hier wohl schon genächtigt haben. Alles sehr geschichtsträchtig. Derzeit leben im Kloster noch 8 Nonnen. Uns bleibt wenig Zeit, in weiteren Gedanken zu schwelgen. Gleich beginnt die Messe. Die klostereigene Kirche ist wahrlich beeindruckend. Etwas gemein ist wohl, dass weite Teile der Messe im Stehen stattfinden und wir häufig zwischen Sitzen und Stehen wechseln. Ehrlich gesagt, beobachte ich in dem Moment, wie sich auch die anderen Mitpilger mühevoll erheben.

Direkt danach geht es auf zum Supermarket. Die Melone ist natürlich dabei, das ist Ehrensache. Wir verfrachten  Käse, gefüllte Teigtaschen, Weintrauben und weitere Leckereien in den Einkaufswagen. Von Pizza nehmen wir Abstand, da wir davon ausgehen, dass diese alle einkaufen werden. Mit unseren Taschen kommen wir zurück zum Kloster und treffen auf unseren Bruder. Mit eiligen Schritten nähert er sich der Küche und zeigt uns die Anrichte. Dort sollen wir alles ablegen. Sie ist schon überhäuft von allerhand Lebensmitteln. Pizza & Co. Sind nicht in Sicht.

Gerade in dem Moment, in dem er uns das Messer zum Aufschneiden der Melone reicht, hoffen wir für ihn, dass er bald eine Freischicht einlegen kann. Nicht, dass noch etwas passiert. Zu seiner Ehrenrettung sei angemerkt, dass er wahrlich alle Hände voll zu tun hat. Das Kloster ist überfüllt und er weiß gar nicht, wo ihm der Kopf steht.

Wir schneiden die Melone in Scheibchen, dekorieren sie versetzt auf einem Viertel der Schale und Schwupps: es ist angerichtet.

Die Pilgerschar wartet in einem ehrwürdigen Gang. Hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen. Bald ist es so weit. Noch dürfen wir den Raum nicht betreten. Unser Bruder, der Priester von der Messe, eine Nonne und eine sehr nette junge Frau aus Mexiko sind emsig am Werk. Jetzt weisen sie uns die Plätze zu. Die Tafel ist reich gedeckt. Es gibt nicht nur Wasser, sondern auch Wein. Unser Bruder sitzt mir gegenüber: Oh je, denke ich, hoffentlich schaltet er jetzt einen Gang runter. Beim Servieren scheppert ein Teller, ist ihm hingefallen. Da denke ich: Jetzt hilft ihm nur noch Wein.

Anscheinend ist zu meiner Rechten die deutsche Fraktion, ich höre unsere Sprache. Zu meiner Linken höre ich englisch und französisch. Aus aller Herren Länder haben sich die Pilger um diese Tafel versammelt. Es herrscht ein buntes Treiben.

Der Beitrag der Maristen besteht in  zwei großen Pfannen mit Paella, die Teller werden gefüllt. Das Auge schweift über die Tafel. Es gibt Salate, Salami, Schinken, Oliven, Käse, Humus, Brot, …Unser Bruder ist von der Melone ganz angetan. “Fast wie der Tannenbaum seines Mitbruders“, so sein Kommentar. Tatsächlich ist jetzt das Gefühl von Weihnachten da. Überall lächelnde und freundliche Gesichter. Die Schüsseln werden herum gereicht. Dabei komme ich mit meinen Nachbarn ins Gespräch. Ein Architekt aus Dänemark kennt zufällig das Gebäude meines Arbeitgebers. Ein Pilger von der Waterkant ist über die Werke von Paulo Coelhos zum Pilgern gekommen und im Übrigen sind beide gleich alt, unglaublich, so agil wie er ist. Ein kanadisches Paar bewundert einen Fußbalsam aus der Schweiz, den ich versehentlich für eine Soße halte. Ich frage, ob sie gut schmeckt. Alle lachen, so ist das mit der Sprach- und Kulturvielfalt.

Zum Abschluss bittet uns die nette Mexikanerin, ihnen ein Foto oder einen Gruß aus Santiago de Compostela zukommen zu lassen. Dieser Bitte werden wir nachkommen.