von Fijula

Fünf Uhr morgens in Saint-Jean- Pied-de-Port. Stimmen und Geräusche von schweren Wanderstiefeln in der Gasse unter unserem Fenster. Sie gehen vorbei, die Stimmen werden leiser. Dann nähern sich erneut Stimmen, ein Blick aus dem Fenster bestätigt: Es sind schon Pilger unterwegs, mit Stirnleuchte und Fleecejacken. Es ist noch empfindlich kühl am Fuße der Pyrenäen zu dieser frühen Stunde.
Die meisten Pelerins schlafen noch. Das soll sich bald ändern, denn wir wollen um sieben Uhr frühstücken. Beim Frühstück werden wir gefragt, ob wir bis Roncevalles laufen wollen. Wir verneinen, sechsundzwanzig Kilometer sind uns zu viel für den ersten Tag. Dazu noch in den Pyrenäen. No way!
Wir haben uns den leichteren Weg ausgesucht. Wir wollen nicht den napoleonischen Weg über den Pass gehen. Er wird zwar landschaftlich als reizvoll beschrieben, aber sehr anstrengend. Man solle dafür sehr früh morgens aufbrechen. Schon im Mai planten wir daher eine Alternative mit weniger mörderischen Steigungen zu gehen. Die Unterkunft war auch schon gebucht.
Um 8:30 Uhr sitzen wir im Pilgerbüro und erfahren, dass die von uns gewählte Strecke größtenteils an einer Autostraße entlang führt. Der nette Mann vom Pilgerbüro betont mehrfach. „Asphalt, walking, more asphalt…not good.“ Schon bei seiner Beschreibung tun mir die Füße weh.
Er fragt, wo unsere Unterkunft sei. Wir schauen uns an – keine Ahnung. Die Chefplanerin Oleander sitzt mit Corona in der Heimat und wir im Tal der Ahnungslosen.
Jetzt kümmern sich gleich zwei Herren des Pilgerbüros um uns und erklären uns, wir könnten doch einfach auf der anderen Strecke etwas buchen. Da gäbe es eine Unterkunft nach ca. 8 km in Orisson und eine weitere in Borda nach ca. 9 km.


Wir beschließen, die schönere Strecke zu laufen , 9 Kilometer – da brauchen wir uns nicht einmal beeilen. Wir werden mit Kartenmaterial und vielen Tipps ausgestattet. Buen Camino. Wir verlassen mit einem Stempel im Pilgerpass das Büro, in dem unsere Planlosigkeit für reichlich Irritation gesorgt hatte.
Es sollte noch besser kommen.
Zunächst verlassen wir den Ort und es geht sofort steil bergan. „Die Aufstiege sind unbarmherzig, lang und gnadenlos“, erinnere ich mich an eine Beschreibung im Pilgerbuch. Stimmt! „Sie werden mit traumhaften Ausblicken und einer wunderschönen Landschaft belohnt.“ Auch das stimmt. Da wir Zeit haben, genießen wir die Ausblicke ausgiebig.


Die 8 Kilometer bis nach Orisson schaffen wir gut. Dort gibt es eine Herberge mit einem Café und Blick auf die Pyrenäen. Bei Kaffee und Cidre überlegen wir… Zimmer buchen oder weitergehen? Es gibt noch eine weitere Herberge in Borda, ca. einen Kilometer von hier. Telefonisch meinten sie zwar, sie seien „full“, dennoch wollen wir unser Glück versuchen. Wir fühlen uns noch frisch genug zum Weiterlaufen.
Bei Borda begrüßen uns freilaufende Schweine. Es wird kurz überlegt. Froggy will weiterlaufen. Es ist bereits 14:00 Uhr. Die Temperaturen sind moderat um die 24 Grad. Froggy hat Angst vor der Hitze, die uns vielleicht morgen treffen könne. Sie möchte so viel wie möglich heute laufen.
Unterwegs gibt es keine Unterkünfte mehr. Roncevalles liegt hinter dem Berg und es sind noch 16 km über den Berg.
Was machen wir?
Die findigen Pelerins kommen auf die Idee, alle 5 Kilometer neu zu entscheiden. 15 Uhr… wir sind bei der Jungfrau von Biakorri, einer kleinen Statue von Maria mit dem Jesuskind, die sich auf einem Felsen erhebt. Wir verweilen kurz, an diesem von Pilgern und Hirten verehrtem Marienbildnis. Froggy pflegt die zweite Blase an den Füßen. Wir werfen einen Powerriegel ein und beschließen, bis zum Kreuz von Thibault zu laufen – auf 1230 m. Vorbei an Schafherden, die unseren Weg kreuzen, und freilaufenden Pferden geht es weiterhin stetig bergauf.
16:23 Uhr wir erreichen das simple Steinkreuz, das befremdlich von tibetischen Gebetsfahnen umrahmt ist. Froggy will ein Taxi nach Roncevalles, aber wir haben keinen Handyempfang.


Es bleibt nichts, als weiterhin bergauf zu laufen. Am Rolandsbrunnen füllen wir unsere Wasserflaschen und rein geht es in die Spanische Navarra. Aufwärts auf unbefestigten, steinigen Wegen bis hinauf zum Col de Lepoeder auf 1400 m. Es wird frisch, wir müssen die Jacken anziehen, von Hitze keine Spur. Das ist der Gipfel!
Jetzt geht es abwärts und ich muss sagen, schön ist das auch nicht. Es geht nämlich steil abwärts, teilweise über schmale Geröllpfade. In Spanien geht es offenbar robuster zu.


Die Muskeln zittern und fragen sich, warum ihnen das zugemutet wird. Sind denn 22 km bergauf nicht schon genug? Jetzt geht es auch noch 4,5 km über 400 Höhenmeter steil bergab, mit 14 kg Gepäck auf dem Rücken.
Unten angekommen sind die Beine steif und wir laufen nicht mehr ganz so leichtfüßig zu unserer Unterkunft. Diese war eigentlich erst für den folgenden Tag gebucht. Wir haben uns heute selbst überholt.

Fazit des Tages: 26km / 1419 Höhenmeter