Da vergehen drei Jahre in der Pandemie – und ich komme davon- und dann das. Corona nimmt mich gefangen, ausgerechnet unterwegs auf der letzten Etappe nach Santiago de Compostela. Aber jetzt mal eins nach dem anderen.

Die Pelerins kommen nach einem langen und beschwerlichen Marsch in Leon an. Von weitem blickt man auf die Kathedrale, aber es sind im Gegensatz zu der Beschreibung im Wanderführer noch etliche Kilometer zu laufen.

Schön geht anders, an meinen Füßen habe ich Blasen, mein Knie schmerzt und meine Energie ist auch nicht gerade das, was sie mal war. Ich beschließe, auf alle Fälle zukünftig kleinere Etappen zu laufen und freue mich auf den freien Tag in Leon.

Angesichts dieser wunderschönen Stadt irritiert mich meine geringe Motivation den letzten Kilometer zu Fuß noch zur Kathedrale zu laufen und der große Wunsch, auf schnellstem Weg zum Appartement zu kommen.

Am nächsten Tag gibt es Gruppenfotos von uns vor dem Wahrzeichen der Stadt, dieser beeindruckenden Kathedrale und den vielen historischen Plätzen. Ich schleppe mich so dahin. Begeisterung geht anders, das weiß ich. So langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich krank bin. Der Abschied von Leon am nächsten Tag hinterlässt bei mir die Sehnsucht, diese Stadt noch einmal bei vollem Energielevel erobern zu wollen.

In welcher Reihenfolge ich von da an in den nächsten Tagen wo war, weiß ich nicht mehr so genau. Aber ich kann es rekonstruieren. Auf alle Fälle bin ich am nächsten Tag noch eine halbe Strecke mit den Pelerins gelaufen, habe mich aber nach 13 km mit dem Taxi zum Etappenziel bringen lassen.

In Villavante ist die Albergue schlecht, zumindest nach meinem Eindruck. Noch vor der Unterkunft riecht es nach Pommesfett. Direkt am Eingang liegt unser Zimmer,  Zimmer Nr. 1. Die Menschen sind zwar nett hier, aber die Holztüre ist dünn, das Zimmer sehr einfach und hellhörig. Direkt daneben ist die Rezeption mit einer Klingel, die ständig jemand betätigt. Auf dem Flur läuft ein unbetreutes, in etwa dreijähriges Kind herum, das immer mal wieder auf sich aufmerksam macht. Das wünscht sich niemand. Hilt alles nichts, Ich muss sofort ins Bett.  Die Nacht macht wirklich keinen Spaß. Mir ist heiß, ich habe Durst. Am nächsten Morgen beschließe ich, diesen Ort zu verlassen, sofort. Hier kann ich nicht bleiben. Also trenne ich mich von Dingen, die mir zu schwer sind, um sie zu tragen. U.a. von meiner heiß geliebten roten Thermoskanne, die mich bereits über tausende von Kilometern begleitet hat- Zurücklassdinge eben.

Im Fieberwahn geht es am frühen Morgen mit dem Zug nach Astorga. Oder war das anders? Egal, das Appartement ist wunderschön, mir geht es aber noch sehr schlecht. Ein Coronatest bringt  uns Gewissheit: Ich habe CORONA.

Den Schock muss ich erstmal verarbeiten. Da ich keinen der Pelerins anstecken möchte, ziehe ich mich sofort zurück. Leider ist das Appartement nur für eine Nacht angemietet. Ich brauche also einen Plan „B“. Da erinnere ich mich an den SPA-Bereich im angeschlossenen Hotel. Den werde ich aufsuchen. Tatsächlich wird er für einige Stunden mein Zuhause sein. Ich stelle sicher, dass sich niemand dort aufhält und entdecke  eine beheizte Liege. Diese nehme ich sofort in Beschlag. Das Wellness-Paradies nehme ich nur mit einem Auge wahr. Es gilt: Erstmal ausruhen.

Astorga hat so richtig was zu bieten, eine sehr prächtige Kathedrale, den Palace of Gaudi (ich schätze die Werke des Künstlers außerordentlich) und ein Schokoladenmuseum. Leider ist mir das alles ziemlich egal. Mein Plan „C“ lautet, mit einem Reisebus nach Cacabelos zu fahren. Dort wird Oleander nach ihrer Pilgerstrecke auf mich warten. Mein Zustand ist desolat. Dort angekommen, bin ich vollkommen auf. Es gilt: erstmal ausruhen.

In der folgenden Nacht lassen die Dämonen von mir ab. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Berge und weiß, dass ich ab Morgen wieder laufen werde. Und so ist es auch. Am nächsten Morgen schultere ich  meinen Rucksack und laufe. Es geht bergauf, die Sonne geht auf, ich sehe Weinfelder zur linken und zur rechten Seite und spüre: Ich LEBE!

Es sollen 24 km an diesem Tag werden und ich bin unheimlich stolz, es wieder mit dem Weg aufzunehmen.

Übrigens lernen Oleander und ich in Cacabelos auch unsere Ersatzfamilie kennen. Nennen wir Sie Barbara, Peter, die Saarländer und weitere nette Menschen. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass Plan „D“ lautet, mit diesen den Rest des Weges zu laufen.  

Aber davon handelt eine andere Geschichte.

Da vergehen drei Jahre in der Pandemie – und ich komme davon- und dann das…